11.02.2024
Die Tatsache, dass es spezielle Seelenverbindungen gibt, ist keine Erfindung der aktuellen spirituellen Szene.
Schon in früheren Epochen fühlten Dichter und Denker diese besondere Verbindung zu einem anderen Menschen.
Heutzutage haben wir Worte dafür wie z. B. Zwillingsseelen, Dualseelen/Dualseelenverbindung, Seelenpartner usw. Aber auch dies sind für mich nur Begrifflichkeiten, die solch eine Verbindung letztendlich nicht in ihrer Gänze erfassen können. Für mich ist es dem Gefühl nach die Seelenliebe.
Ich weiß, dass andere Medien hier gerne Unterschiede in den Begriffen sehen, aber auch dies ist nur eine Kategorisierung. Gerade wir Deutschen versuchen immer alles in Schubladen einzuteilen, aber auch hier geht es primär ums Fühlen.
Und darauf konnten Goethe, Schiller & Co. sich wunderbar einlassen.
Sie drückten ihre Gefühle und Wahrnehmungen in den folgenden Gedichten tiefgehend aus:
Ginkgo Biloba
Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.
Ist es ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als eines kennt?
Solche Fragen zu erwidern
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst Du nicht an meinen Liedern,
Daß ich eins und doppelt bin?
(Johann Wolfgang von Goethe, 28. August 1749 – 22. März 1832)
Das Geheimnis der Reminiszenz
An Laura
Ewig starr an Deinem Mund zu hangen;
Wer enthüllt mir dieses Glutverlangen?
Wer die Wolllust, Deinen Hauch zu trinken;
In Dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken?
Fliehen nicht, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich Dich erblicke?
Sprich! Warum entlaufen sie dem Meister?
Suchen dort die Heimat meine Geister,
Oder finden sich getrennte Brüder,
Losgerissen von dem Band der Glieder,
Dort bei Dir sich wieder?
Waren unsre Wesen schon verflochten?
War es darum, dass die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl erloschner Sonnen,
In den Tagen lang verrauschter Wonnen
Schon in Eins zerronnen?
Ja, wir waren′s! - Innig mir verbunden
Wart Du in Aeonen, die verschwunden;
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben:
Eins mit Deinem Lieben!
Und in innig fest verbundem Wesen,
Also hab′ ich′s staunend dort gelesen,
Warn wir ein Gott, ein schaffend Leben,
Und uns ward, sie herrschend zu durchweben,
Frei die Welt gegeben.
Uns entgegen gossen Nektarquellen
Ewig strömend ihre Wolllustwellen;
Mächtig lösten wir der Dinge Siegel,
Zu der Wahrheit lichtem Sonnenhügel
Schwang sich unser Flügel.
Weine, Laura! Dieser Gott ist nimmer!
Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Dringen,
Das verlorne Wesen einzuschlingen,
Gottheit zu erschwingen.
Darum, Laura, dieses Glutverlangen;
Ewig starr an Deinem Mund zu hangen,
Und die Wolllust, Deinen Hauch zu trinken,
In Dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken.
Darum fliehn, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich Dich erblicke.
Darum nur entlaufen sie dem Meister,
Ihre Heimat suchen meine Geister,
Losgerafft vom Kettenband der Glieder,
Küssen sich die lang getrennten Brüder
Wieder erkennend wieder.
Und auch Du - da mich Dein Auge spähte,
Was verriet der Wangen Purpurröte?
Flohn wir nicht, als wären wir verwandter,
Freudig, wie zur Heimat ein Verbannter,
Glühend aneinander?
(Friedrich Schiller, 10. November 1759 – 9. Mai 1805)
Liebes-Lied
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt?
Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkeln unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
(Rainer Maria Rilke, 4. Dezember 1875 – 29. Dezember 1926)
Ich und Du
Wir träumen von einander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurück in die Nacht,
Du tratst aus meinem Traume,
aus Deinem trat ich hervor
Wer sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.
Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund,
Zerfließen in Eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund!
(Johann Friedrich Hebbel, 18. März 1813 – 13. Dezember 1863)
Das Heiligste
Wenn zwei sich ineinander still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken;
Dann müssen beide Welten sich verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.
Was in dem Geist des Mannes, ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden,
Als Schönstes dämmerte, das muß sich mischen;
Gott aber tut, die eben sich entfaltet,
Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden
Hinzu, die unverkörperten und frischen.
(Johann Friedrich Hebbel, 18. März 1813 – 13. Dezember 1863)
In ihren Worten kann man sich mit allen Sinnen vertrauensvoll fallenlassen.
Mein Dank geht an jene wunderbaren Dichter und mutigen Denker.
Viele Herzenslichter,
Carmen